Von Smart Packaging bis Smart Paper: Fallstudie zur Digitalisierung des Eco-Systems Papier der Felix Schoeller Group
Die Digitalisierung transformiert ganze Wertschöpfungsketten, so auch im Eco-System Papier, und stellt Unternehmen vor völlig neue Herausforderungen. Während in der analogen Welt Papier als der Standard-Datenträger genutzt wurde, fällt diese Anwendung immer häufiger weg. Für die Papierbranche bedeutet das zum Beispiel, dass sich das Geschäft in Richtung Spezialpapier verlagert. Wie die Entwicklung in eine digitale Papier-Industrie mit smarten Produkten aussieht zeigt die Felix Schöller Gruppe mit der Anwendung von IP-Design in der MIPLM-Fallstudie: „Digitalisierung in der industriellen Prozesskette für Papier“. Die Felix Schöller Gruppe ist einer der Marktführer im Bereich Dekorpapier in Europa. Dekorpapier ist ein Spezialpapier, das im Tiefdruckverfahren bedruckt wird und hauptsächlich als Zierverkleidung für Möbel und sonstige Inneneinrichtung verwendet wird. Wie der IP-Schutz von Möbeldekors im nächsten Schritt der Wertschöpfungskette gelingt, kann wiederum in der MIPLM-Fallstudie Schattdecor „Digitaler Kopierschutz gegen Plagiate im Dekordruck“ nachgelesen werden.
Das über Jahrzehnte stabile Geschäftsmodell der Papierindustrie brauchte lange keine durchgreifende Produkt- und Prozessinnovationen, das ganze Thema Innovationskultur war in der Branche nicht wirklich verankert, dafür ist das Umdenken heute umso stärker, es kommt einer Kulturrevolution gleich. Vom Zeitungsdruckpapier bis Wellpappenrohpapier ist die Papierindustrie sehr vielfältig. Es werden grafische Papiere, zu denen Briefumschläge und Zeitungen zählen, von Verpackungspapieren wie Kistenpappen und Wellpappen, Hygienepapiere wie Küchenrollen sowie Spezialpapiere wie beispielsweise für Banknoten oder Kaffeefilter unterschieden. Seit dem letzten Boom um das Jahr 2000 herum, als die Zeitungsverlage mit Werbeanzeigen überschwemmt wurden, hat das Internet diese Kommunikations- und Werbeform praktisch obsolet gemacht. Gleichzeitig hat sich in den letzten 20 Jahren ein neues Verständnis von Rohstoffen, Nachhaltigkeit und Kunststoffen entwickelt. Papier ist leicht, erstaunlich flexibel und stabil. Der hohe Wasser- und Energieverbrauch in der Produktion ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Heute findet man Papier praktisch überall, so zum Beispiel im Automobil- und Flugzeugbau. Die Dachkonstruktion des aktuellen Smart ist beispielsweise aus Papier mit einer Sandwich-Wabenstruktur.
Papier spielt auch im Smart Packaging eine entscheidende Rolle. Papier übernimmt in der Verpackung immer mehr Funktionen: der Karton und das Prospekt werden intelligent. So zum Beispiel bei Medikamentenverpackungen im Fallbeispiel der August Faller Group: Medical Prescription. Der Patient wird an die korrekte Uhrzeit der Einnahme der Medizin erinnert und die Verpackung meldet sich auch, wenn es Zeit ist, ein neues Rezept zu bestellen. Die Tabletten-Schachtel verfügt über ein E-Paper-Display und elektronische Bedienelemente. In einer vernetzten Welt kommunizieren Verpackungen mit Verbrauchern und anderen Geräte sowie mit dem Internet. Unter dem Stichwort Internet of Things werden eine Vielzahl von neuer Use Cases und ganz neue Customer Journeys möglich. Mit Smart Packaging haben zum Beispiel Onlinehändler nahezu grenzenlose Möglichkeiten mit Kunden zu interagieren sowie Kundendaten zu erfassen und diese längerfristig an sich zu binden.
Man spricht auch von Extended Packaging, also Verpackungen mit Zusatznutzen. Das gibt es inzwischen auch bei Produktbroschüren oder anderen Anwendungen. So gibt es von dem in Cambrige ansässigen Startup Novalia gedruckte Tastaturen für das iPad, die auf ein DINA4-Papier mit leitfähiger Tinte gedruckt werden.
Intelligente Verpackungen haben eine Intelligenz, die über die Verpackungsaufgabe hinaus geht. In der Regel geht es um die Kommunikation mit der Außenwelt. Beispielsweise Diagnostik- und Indikatorfunktionen mit deren Hilfe der Zustand des verpackten Guts überwacht werden kann. Handel und Verbraucher erkennen aufgrund der integrierten Dichtheit- / Zeit- / Frische- / Temperatur-Indikatoren die Qualität der Ware. Einen Schritt weiter gehen Augmented-Reality-Elemente in der Verpackung. Darunter werden Visualisierungen verstanden, die reale Bilder auf Smartphones oder Tablets virtuell ergänzen. Analog zur Tastatur von Novalia wurde in eine Broschüre von Audi ein Bluetooth-Chip integriert und so ein Augmented-Reality-Erlebnis für den AudiTT realisiert.
Die digitale Transformation hat das Papier in der gesamten Wertschöpfungskette erfasst und aus dieser ein komplexes Eco-System gemacht, in dem Patentstrategien eine entscheidende Rolle für die zukünftige Position spielen. Die Beispiele zeigen, die Potenziale von Papier sind noch lange nicht ausgereizt. Entlang aller Produktionsstufen werden digitale Zwillinge verwendet, um Funktionserweiterungen und Prozessoptimierungen zu ermöglichen. Der virtuelle Zwilling entsteht bereits während der Konzeption und dem Design von Produkten und Prozessen und begleitet den realen Zwilling während des gesamten Lebenszyklus. Heute werden digitale Zwillinge größtenteils als Abbilder von Maschinen und Komponenten oder Produkten der Stückgutindustrie (Automobil, Roboter, Anlagenbau, Elektrogeräte) verstanden und dort als Basis für die Smart Factory verwendet. Die Hersteller von Anlagen, Maschinen, Aggregaten und Messtechnik treiben auch in der Papierindustrie die Entwicklung digitaler Zwillinge voran und darauf aufbauende neue und erweiterte Geschäftsmodelle und deren Patentschutz wie “Performance Contracting”, “Predictive Maintenance”, “Product Life-cycle Management”, “Total Cost of Ownership” oder “Condition Monitoring”.
Jedes Produkt, in diesem Sinne auch die Rohstoffe und Fertigprodukte der Papierindustrie, produziert einen digitalen Schatten durch Werkstoffkennwerte, Materialzustandsdaten, Prozessdaten etc. So wie das reale Material (Pulp) und Papier-maschine (Anlage) miteinander wechselwirken, kann auch der digitale Zwilling des Materials mit dem digitalen Abbild einer Maschine kommunizieren. Wenn Materialdaten mit Prozessdaten (Maschinendaten, Sensordaten und Umgebungsdaten) zusammengeführt werden, dann ist dies eine wesentliche Voraussetzung, um jederzeit die Qualität des Endproduktes zu beeinflussen. Jederzeit heißt, sowohl bei laufender Produktion zur Qualitätssicherung, Optimierung oder Reaktion auf Abweichungen einzelner Prozesskomponenten (Prozesssicherheit), als auch bei der Produktentwicklung und Prozessplanung. Auf Basis eines digitalen Abbildes kann Qualität komplett voraus-gedacht werden – „Predictive Quality“ im erweiterten Sinn.
Wie das bei der Felix Schoeller Gruppe, einem der weltweit führenden Hersteller von Spezialpapier, insbesondere Fotopapier und Dekopapier funktioniert und welche am digitalen Use-Case entlang mit IP-Design entwickelte Patentstrategie dahinter steckt können Sie in der Fallstudie: „Digitalisierung in der industriellen Prozesskette für Papier“ lesen.
Autoren der Fallstudie sind:
Prof. Dr. Alexander J. Wurzer
Dr. Wurzer is Professor for IP Management at the Centre for International Intellectual Property Studies (Centre d’Etudes Internationales de la Propriété Industrielle, CEIPI) at the University of Strasbourg, where he has been program leader for the Master’s degree in Intellectual Property Law and Management (MIPLM) since 2007. Prof. Dr. Wurzer is Director of the Steinbeis Transfer Institute for Intellectual Property Management at Steinbeis University Berlin. He is Managing Partner at WURZER & KOLLEGEN GmbH, a consulting firm for strategic IP management.
Prof. Dr. Wurzer is Chairman of the DIN 77100 committee for patent valuation, and DIN 77006 for Quality of Intellectual Property Management Systems. He is a member of the Board of Directors of “Deutsches Institut für Erfindungswesen e.V.” (D.I.E.), as well as the Board of Trustees of the Diesel Medal Awards. He is Fellow at the Alta Scuola Politecnica of Milan/Turin Politechnic. He is a member of the group of experts on “IP Valuation” of the European Commission and the Patent Law working group of the University of Düsseldorf, as well as the working group for Patent Valuation of the Licensing Executives Society (LES) and a member of the Advisory Board of the Innovation Manager Magazine of the F.A.Z. Institute.
Gerhard Hochstein
Gerhard Hochstein is serving the Felix Schoeller Group since 2016 as CTO and Managing Director of the Schoeller Technocell Gmbh & Co. KG, being responsible for R&D, Business Development, IP-Management, Engineering and other supporting functions. Before, he worked as Consultant for Innovation Management and many years in the printing industry in technical management functions.
Dr. Michael Kloskowski
In 2014 Dr. Kloskowski started working at Schoeller Technocell GmbH & Co. KG as R&D Manager and is responsible for the IP Management since 2019. Before, he worked for the foundry supplier ASK Chemicals GmbH as head of R&D foundry coatings and OpEx for coating and additive production. He studied at the WWU Münster and worked for Prof. B. Krebs during his PhD thesis.