Im Mai veröffentlichte der Industrierat Zukunft das Positionspapier “Digitale Unternehmenstransfor­mation – Herausforderungen und Enabler”.
Auf dem diesjährigen CTO-Herbstforum am 24.& 25. Oktober in Neuhausen a.d.F. vertiefte Prof. Dr. Gunther Herr vom Indutrierat Zukunft um den Enabler Wie standardisierter Aufwand im Portfolio individuellen Kundennutzen erschließe.

Das historische Erfolgsmuster der Industrialisierung lautet „lineare Skalierung“. In einfachen Worten „mehr für mehr“. Die konsequente Ausreizung von Geschäftspotenzialen und damit verbundenem Ressourceneinsatz ist im heutigen Wettbewerbsumfeld nicht mehr ausreichend. Historisch gewachsene Pfadabhängigkeiten und damit ausgearbeitete Erfolgsfaktoren verhindern systematisch die Allokation von Ressourcen auf zukunfts-sichernde Fragestellungen. Digitalisierung ist keine Lösung. Sie ist jedoch der Enabler für tiefgreifende Wettbewerbsverschiebungen. Die Möglichkeit, Kompetenzen unternehmensübergreifend zu verketten und damit im virtuellen Raum – für Kunden jedoch real erlebbar – Plattformen zu schaffen stellt bisher Dagewesene Wachstumspfade in den Schatten. Nehmen wir heute aus Sicht der Industrie wahr, dass sich Umbrüche anbahnen, so zeigt ein Blick auf das Ranking der wertigsten Marken eindeutig, dass der Wandel bereits vollzogen ist. Die Top vier sind Unternehmen starken Plattformen und weit verzweigten Ecosystemen sowie verhältnismäßig geringen physischen Assets. Mit Tencent auf Rang 8 und IBM auf Rang 13 sind noch zwei Technologieunternehmen vertreten. Beide haben im Ranking Plätze eingebüßt.

Hat Wandel im industriellen Maßstab in der Vergangenheit innerhalb von Jahren oder Jahrzehnten stattgefunden, so treibt die nichtlineare Leistungssteigerung digitaler Technologien die Neugestaltung von Geschäftsmodellen immer schneller voran. Umbrüche treten häufiger und intensiver auf. Neue Freiheitsgrade führen zu neuen Regeln. Kompetenzen werden über klassische Branchengrenzen hinweg vernetzt. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob klassische Erfolgsmuster der Industriegeschichte, oder der New Economy für zukunftsfähige Orientierungen entscheidender sind. Vielmehr geht es um die Fähigkeit die Stärken der klassischen Expertise auf Basis strukturierter Analysefähigkeit mit dem kreativen Potenzial flexibler Wandlungsfähigkeit und Endkundenempathie zu verbinden. Größter Nutzen entsteht dabei nicht unbedingt in der unmittelbaren Wechselwirkung der neu geschaffenen Verknüpfung (linear), sondern häufig in der Kaskade indirekter, weiterer Abhängigkeiten. Digitale Plattformen erschließen ihre Märkte mit vernachlässigbar kleinen marginalen Kosten und schaffen demand economies of scale.

War noch vor wenigen Jahren der Grad der notwendigen Neuerung bei der Gestaltung von Geschäftsmodellen ein Indikator für das Risiko der Umsetzung, so muss heute festgestellt werden, dass alle Dimensionen des Geschäftsmodells durch die Veränderung von Rahmenbedingungen in Frage gestellt werden. Dabei wir die Komplexität der Wertschöpfungsnetzwerke durch neu entwickelte Materialen und Technologien getrieben. Grundsätze der Kreislaufwirtschaft definieren Wertschöpfungsströme neu. Verkettete Prozesse, Konfiguratoren und parametrierbare Designs forcieren Individualisierungsgrade, die noch vor Kurzem undenkbar waren. Dies stellt Organisationen bei Ihrer Prozessgestaltung vor neue Herausforderungen. Agile Strukturen und Prozesse sollen helfen, den neuen Anforderungen zu genügen.

Doch: Reicht das?

Radikal Ideal gedacht geht es darum, Plattform-Strukturen zur Organisierung von „Von-Selbst-Funktionen“, aus versteckten Eigenressourcen des Ecosystems oder seiner Kreislauf-Umgebung zu schaffen. Diese Strukturen sollen in der Lage sein, Lösungen bereit zu stellen, die sowohl standardisiert, als auch individualisierbar sind. Sie müssen sowohl funktionsautark, als auch kompatibel sein. Die Anforderung reicht von Micro-Services bis hin zu global-skalierten Ansätzen. Das Portfolio muss spezifizierbar und dabei trotzdem adaptierbar sein. Diesen Herausforderungen neu zu begegnen definiert eine neues Herausforderungsniveau. Der Industrierat „Zukunft“ beschäftigt sich daher auf Basis der Erkenntnisse aus dem Whitepaper zu Herausforderungen und Enablern der digitalen Unternehmenstransformation tiefer mit drei Kernelementen eines zukunftsorientierten Umfelds. Unternehmen müssen sich in ihrer Organisationsstruktur und ihrer Interaktion im Kontext von übergeordneten Wertschöpfungsnetzwerken hin zu einem Innovation Ecosystem entfalten. Folgende Elemente müssen im Wirken von Unternehmen zum Tragen kommen:

1. Herausforderung: Kultur – Enabler: Wertschöpfungsnetzwerke
Befähigung Themen zu erkennen, aufzugreifen und zu operationalisieren.
Herausforderung: Starke Basis mit Neuen Chancen ankoppeln.
Ansätze jenseits von klassischen Inkubatoren und Acceleratoren. Abtrennung reicht nicht – Kopplung ist notwendig, um den Kern zu infizieren und nichtlinear zu skalieren. Wie kann die Lücke zwischen der Erkenntnis, interdisziplinäre und hierarchie-übergreifende Teams Formen zu müssen hin zu produktiven Arbeitsergebnissen geschlossen werden? Vertrauen in neue Vorgehensweisen bedarf einer neuen Konsequenz zwischen Kommunikation und tatsächlichem Handeln.
Das managen digitaler Geschäftsmodelle erfordert die Detailkenntnis um die Hebelwirkung nichtlinearer Skalierungseffekte.

2. Herausforderung: Portfolio Transformation – Enabler: Plattformen
Haltung bisher lineare Entwicklungen hinter sich zu lassen.
Die Ausreizung bisheriger Erfolgsmuster führt per Definition zu Qualitätsübersteigerungen. Kunden erwarten Lösungsattraktivität. Wie kann das radikal beste Verhältnis zwischen individuellem Nutzen und dem dafür notwendigen, verbundenen Aufwand gestaltet werden? Dies gilt in heutiger Zeit vor allem auch für den einzusetzenden Zeitaufwand. Parametrierbare Portfolios mit direkter Ankopplung an alle relevanten Unternehmensprozesse schaffen Lösungen für „Stückzahl 1 im Kontext skalierter Produktionsprozesse“.

3. Herausforderung: Nachhaltigkeit – Enabler: Kreislaufwirtschaft
Klare Differenzierung zwischen „Möglichkeit“ und „Zukunftswert“
Digitale Geschäftsmodelle schaffen Lösungen, die mit geringstem Ressourceneinsatz maximalen Lösungsfokus realisieren. Gelingt es, Geschäftsmodelle zu gestalten, die im Sinne einer Kreislaufwirtschaft die eingesetzten Ressourcen unter mehreren Beteiligten maximal ausnutzen, so können höchstprofitable Ansätze erarbeitet werden.

In diesem Kontext erlangen die Unternehmensethik und die daraus formulierten Unternehmenswerte neue Bedeutung. Transformationsfähigkeit, Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Herausforderungen an die Entwicklung der Unternehmenskultur sind im Zeitalter nichtlinearer Entwicklungen die Voraussetzung für Innovationsvermögen. In Zeiten nichtlinearen Wandels gilt zunehmend: Ohne Innovation – keine Zukunft.

„Zukunft Sichern – anders Denken!“

Auch in Vorbereitung auf das kommende Positionspapier berichten wir hier wieder für Sie.

 

Prof. Dr. Gunther Herr studierte Maschinenbau an der Hochschule in Coburg und der Universität von Huddersfield in Nordengland. Er promovierte auf dem Gebiet der Innovationstheorien als Mitarbeiter des Innovationsmanagements der BMW AG in München. Seit Abschluss der Promotion 2000 ist er Partner des WOIS INSTITUTE für Innovationsforschung und Unternehmensentwicklung in Coburg. Er ist Autor bzw. Mitautor zahlreicher Veröffentlichungen zu Innovationsstrategien. Prof. Dr. Herr ist Professor für Comprehensive Business Innovation Strategies an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Er hat Lehraufträge an der Hochschule in Coburg und der Universität Prag.