Disney erfindet sich im digitalen Eco-System neu und will endlich Zugang zu seinen Kunden
Aktuell ist die Walt Disney Company ein klassischer, globaler Mediengigant mit knapp 60 Mrd. US$ Umsatz und über 200.000 Mitarbeitern, der die erste Welle der digitalen Transformation ganz erfolgreich gemeistert hat; was nicht jedes Medienunternehmen von sich behaupten kann. Jetzt erfindet sich Disney neu und akzeptiert die unschlagbare Logik der Customer Journey, der digitalen Eco-Systeme und die Macht der Datenhoheit. Noch nie hat ein so großes Unternehmen sein eigenes Geschäftsmodell aus der Position der Stärke so radikal geändert. Disney will zum vernetzten Streaming-Anbieter werden und damit wieder die unumschränkte, dominante Marktmacht in der Entertainmentbranche erringen. Jetzt zieht ein klassischer Medienkonzern in die Streamingkriege ein und ist fest entschlossen, diesen Kampf für sich zu entscheiden. Doch der Reihe nach:
An der Kinokasse hat Disney aktuell eine Marktdominanz, die für den Wettbewerb erdrückend ist. Der Micky Maus-Konzern erreicht ca. 36% Marktanteil mit seinen globalen Blockbustern und damit viel mehr als je ein Studio zuvor. Allein eine Milliarde an Ticketerlösen – ein einsamer Rekord. Was immer Disney jetzt tut, es wird die gesamte Branche verändern. Der Vorstandschef Bob Iger hat einen verwegenen Plan: Er sucht den Kontakt zum Endkunden. Den meisten Umsatz macht Disney mit den Filmen, DVDs, BlueRays und Merchandising über Zwischenhändler. Außer bei den Themenparks hat Disney keine direkte Beziehung zu den Endkunden, weiß daher nichts über sie und kann mit diesen auch keine direkte Beziehung eingehen. Im Grunde hat Disney hier eine Position, wie ein mittelständischer Gerätehersteller oder Maschinenbauer, der über einen dreistufigen Vertrieb seinen Absatz organisiert. Doch mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten bekommt der direkte Kundenkontakt eine viel größere Bedeutung. Die Optionen der Kunden werden größer, es steigt die Markttransparenz und die Loyalität sinkt – da muss der Markenhersteller seine Kunden an sich binden und sich fragen, für was genau die Kunden eine Zahlungsbereitschaft besitzen – und hier liegt die Herausforderung für Disney.
Denn die Lage ist für den Medienkonzern durchaus unkomfortabel, trotz vordergründiger Stärke. Das Kinobusiness wird zwar von Disney dominiert, doch es schrumpft seit Jahren. Hinzu kommt, dass Streaminganbieter wie Netflix den Umsatz- und Profitbringer Pay-TV töten. Der Plan von Disney ist es, ein Business-Eco-System um einen Streamingdienst herum aufzubauen und Endkundendaten für margenträchtige Geschäfte zu nutzen: Wertschöpfung aus Daten. Das hat Netflix in der Branche schon vorgemacht. Durch seinen Datenzugang beim Endkunden und durch ein sehr cleveres IP-Portfolio geschützt gelingt es dem Streamingdienst die Kundenbedürfnisse, Sehgewohnheiten und Interessen exklusiv und mit nie da gewesener Präzision zu analysieren. Daraus zieht Netflix das Wissen für neue Megahits und Serienerfolge. Doch Netflix hat ein vergleichsweise einfaches Geschäftsmodell und erwirtschaftet keinen Profit aus einem Eco-System. Netflix zieht Kunden durch exklusive Inhalte auf seinen Kanal und versucht die Kundschaft dort durch weitere, passende Inhalte zu halten.
Der Ansatz von Disney ist deutlich moderner, umfassender, aber auch komplexer. Disneys zentrales Problem ist, dass das Unternehmen keinen direkten Zugang zu seinen Kunden hat und diese daher nicht kennt. So sind individuelle Leistungsangebote nicht platzierbar und die Zahlungsbereitschaft kann nicht abgeschöpft werden. Business-Eco-System kann Disney schon: Die Filmstudios waren noch nie die größte oder profitabelste Business-Einheit von Disney, aber sie haben das geistige Eigentum, die emotionalen Ikonen, Charaktere und kollektive Bilder geschaffen, die dann in den anderen, viel profitableren Businessunits, wie den Parks und den Kreuzfahrten zu Geld gemacht werden. Wenn jetzt der Endverbraucher in diese Vermarkungsmaschine direkt eingeklinkt wird, dann kann das ein ganz neues Niveau erreichen.
Disney+ wird nur am Anfang wie ein zu Netflix analoger Streamingdienst aussehen. Doch das Imperium wird seine Macht schnell und umfassend ausspielen. Mit BamTech hat sich Disney für 2,6 Milliarden US$ einen absoluten Streamingexperten mit passendem Patentportfolio gekauft und spätestens seit 2017 seinen eigenen Kriegseintritt in die Streamingwars vorbereitet. Mit Disney+ ist endlich die letzte Meile zum Endverbraucher und seinen Bedürfnissen geschlossen. Aus den Kundendaten lässt sich jetzt ermitteln, wem man auf einer Kreuzfahrt ein StarWars-LegoSet anbietet und wer in einem Resort für Musical-Karten angesprochen werden muss. Endlich können die ungehobenen Schätze geborgen werden. Und so wie das Patentportfolio schon heute veröffentlicht ist, duldet Disney dabei keinen Kommensalen.
Wie man Pain-Points digital zu Goldgruben verarbeitet weiß Disney schon. Das größte Problem in den Themenparks war lange Zeit das Anstehen vor den Attraktionen. Mit einem Datenband, dem „MagicBand“, welches die Gäste der Themenparks schon vor ihrem Besuch zugeschickt bekommen, wird eine individuelle und einzigartige Customer Experience möglich. Egal ob im Hotel, im Restaurant oder bei den Attraktionen – der Gast wird erkannt und seine Präferenzen werden berücksichtigt. Er bekommt Einlass und Zutritt, genauso wie vorher in der virtual Journey vereinbart und sogar ein bisschen mehr, denn durch die Verknüpfung mit weiteren Daten aus dem Disney-Universum werden einzigartige Überraschungen möglich, die man sich nicht hat träumen lassen: Der Lieblingsheld serviert den Nachtisch. Das Imperium schlägt zurück – digital, im Eco-System und konsequent vom Kunden herdenkend. Wie gut Disney schon heute darin ist, zeigen zwei prominente Patente. Beim nebenstehenden wird der Gast eines Themenparks anhand von exaktem Gewicht und Schuhgröße im ganzen Park erkannt und individuell betreut.
Beim zweiten erteilten europäischen Patent EP2249936B1 handelt es sich um die Anpassung einer Achterbahnfahrt an den Erregungszustand des Gastes. Analysiert wird der Gesichtsausdruck der Mitfahrenden und anhand der emotionalen Lage wird die Fahrt im Fahrgeschäft individuell eingerichtet: Der umfassende Marktschlag der Traummaschine wurde präzise vorhergedacht und mit IP gesichert.